Woche 3
Liebe OKIFlerin, lieber OKIFler, und es geht weiter im Text…
Lass uns zu Beginn von Woche 3 gleich mit einem weitverbreiteten Missverständnis aufräumen. Mit dem Missverständnis, dass alle deine Gedanken hilfreich und gut und richtig und wichtig sind.
Du sagst vielleicht: „Aber ich kann gar nicht anders denken, weil…
- … ich doch auch viel falsch mache (andere können alles besser).“
- … ich essen muss, was auf dem Tisch kommt (sonst hängt der Familien- und Bekanntensegen schief)“,
- … mein Partner mich dünner haben will (sonst schenkt er mir ein Freiflugticket)“,
- … ich immer schon dick war (Essen ist mein Trost und mein Vergnügen)“,
- … ich nicht sagen kann, was ich denke (wenn ich sage, was ich denke, mag niemand mehr mit mir etwas zu tun haben).“
Und so weiter und so fort, je nachdem, was du jetzt denkst.
Kurz: Wenn ich alleine auf der Welt wäre, wäre gesundes Denken kein Problem, aber ich kann wegen aller anderen und der äußeren Umständen nicht anders denken.
Aber, wie sagte ich einmal in einer rechtlich völlig aussichtslosen Situation zu meinem Gegner: Ich bin eine mutige Frau, ich widerspreche!
Also, solltest du irgendwie so denken, egal in welcher Facette nun genau, dann widerspreche ich dir hiermit ganz, ganz mutig.
Denn: Ich denke, was ich will, und du tust das auch. Und ich fühle, wie ich denke, und du tust das auch.
Wenn ich denke, dass ich nicht dick sein darf (und niemand zwingt mich zu diesem Gedanken!), dann ist die Zwangsfolge, dass ich mich nicht blendend fühle, um es vorsichtig auszudrücken. Übrigens, egal, ob ich es gefühlt oder wirklich bin. Der Satz ist die Garantie dafür, immer unzufrieden sein zu können. Entweder verleide ich mir meine Tageslaune mit der Angst, ich könnte dick werden, oder mit der Überzeugung, es zu sein, weil und wie ich es ja immer mal wieder war. Jede Variante fühlt sich schrecklich an und so erlebe ich in einem Rundumschlag Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als äußerst anstrengend und mühsam.
Aber: Ich und du, jeder hat die Wahl, was sie oder er denken will. So wie du denken kannst: „Das Glas ist halbvoll oder halbleer“, so kannst du über dich denken: „Ich bin ein undiszipliniertes Huhn“ oder „Ich bin ein Mensch mit Macken, aber wundervoll“ (oder ganz passabel, man muss ja nicht übertreiben, es soll sich für einen selbst stimmig anfühlen).
Es ist nur die Frage: Was willst du denken? Von dir. Denn: Gedanken überfallen einen nicht. Gedanken sind eine Entscheidung. Ok. Eine Entscheidung in Nanogeschwindigkeit, so dass man sie nicht jedes Mal bewusst mitkriegt. (Das ist wie beim Autofahren, bei dem man auch nicht jede Bewegung bewusst mitspricht, ankündigt. Und sich dennoch permanent für bremsen, Gas geben oder hupen entscheidet.) Die Herausforderung ist, sich selbst mitzukriegen. Mitzukriegen, was denke ich. (Wenn du dich das gerade gleich mal fragst, so versuchsweise, wirst du in einen traumhaften Meditationszustand geraten, denn dann sind erstmal alle Gedanken weg :-), aber ernsthaft: zu wissen, was du denkst, ist das "A" und "O".)
Gedanken (wieder kleiner Theorieausflug) sind oft albtraumhafte Fantasien für die Zukunft oder ein Abruf von Gefühlen aus der Vergangenheit. Sie sind oft Über- und Untertreibungen, konkrete Erwartungen, bedingungslose Forderungen, von denen kein Deut abgewichen werden darf. Nicht alle sind also realistisch, machbar und – wohltuend.
Du kannst dich fragen, wo es angefangen hat, dass du abwertend und schlecht über dich zu denken begonnen hast, aber schneller bist du am Ziel, wenn du dich fragst, ob du wirklich so weiterdenken willst. Ob alles beim Alten bleiben soll oder ob eine Veränderung angebracht wäre.
Und deswegen braucht es jetzt eine Entscheidung. Willst du oder willst du nicht? Dir deiner Gedanken bewusst werden, dich wohlfühlen, deine Gedanken ändern, dir nicht guttuenden Gedanken fristlos kündigen… was auch immer dein Ziel ist, mit Betonung auf „dein“? Ja oder ja?
Bevor du Schnappatmung kriegst: Du kannst dich bei jedem Gedanken neu entscheiden. Du musst nicht gleich dein ganzes Leben umkrempeln. Du kannst entscheiden, ob du den oder den Gedanken behalten willst oder eben nicht.
Denn: Es ist noch wichtig, dir anzusehen, was dein guter Grund war, „diesen“ dir nicht guttuenden Gedanken so lange zu behalten. Und ich bin sicher, du hattest für jeden dieser Gedanken einen guten Grund. Und du hast deinen Grund für dich bestmöglich umgesetzt. Und lediglich den Absprung in ein besseres Update verpasst.
Bevor du also in die Falle tappst und dich beschimpfst, dass du nicht schon früher auf die Idee gekommen bist, anders über dich zu denken, drehen wir noch eine kleine Schleife.
Und ich gebe dir wieder ein Beispiel von mir. Ich dachte oft, poah, wenn ich schlank wäre, dann wäre das Leben leichter. Wenn ich dick bin, dann habe ich versagt, dann ist alles grau in grau. Schon beim Schreiben dieser Gedanken merke ich, wie sich mir der Magen zusammenzieht, der Gedanke mich stresst. Warum habe ich so gedacht? (Gelegentlich fliegen sie mich sogar noch an, dazu liest du im Blog.)
Hinter diesen Gedanken steckt(e) eine Sehnsucht nach einem anderen Leben. Nach einem Leben, in dem ich bestimme, was ich wann tue, und in dem ich tue, was ich will. Mein Lieblingsgefühl, über das ich oft blogge, „ich kann nicht so, wie ich will“.
In meiner vergangenheitlichen Logik war damit untrennbar „schlank sein“ verbunden. Schlank stand für Veränderung, Erfüllung, dick für „alles bleibt beim Alten“, ich mach alles falsch, ich bin nicht richtig. Meine missverständliche Veränderungshardcoreversion bestand damals sogar im Abdriften in Magersucht und Bulimie. Was für eine Entscheidung in Hilflosigkeit, im Nicht-besser-Wissen, wie ich Veränderungen mit mir statt gegen mich hinbekomme. Ich dachte ja, ich tu mir was Gutes, wenn ich abnehme.
Heute weiß ich, dass ich Veränderungen gänzlich anders hinbekommen kann, wie ich mir nicht guttuende Verwechslungen enttarnen kann. Dass ich mich für Veränderungen nicht bekämpfen muss, sondern mit mir zusammen einen neuen Weg denken und gehen kann. (Nein, das habe ich nicht permanent abrufbereit, aber es dauert nicht mehr so lang wie früher zu erkennen, dass ich einfach meine Gedanken neu wählen kann, statt in mich schädigendes Denken und Verhalten abzugleiten.)
Schlank werden ist für mich immer wieder noch ein Signal für Neuanfänge. Der Gedanke sitzt bei mir also sehr tief. Und es ist für mich eine Titanaufgabe, mich hierzu jedes Mal neu zu sortieren. Den Wunsch nach Schlanksein als Signal zu nehmen und zu merken: Aha, was läuft gerade in meinem Leben nicht rund, was möchte ich korrigiert, anders, neu haben?
Leben ist ein Prozess. Und ich lerne permanent, dass der Prozess nur mit mir und nicht gegen mich geht. Der Wunsch, schlank zu sein, ist mein Türöffner gewesen. Mein „Grund!“, mein Veränderungswunsch gerade auch in meinen Suchtzeiten war sicher gut, richtig und wichtig. Meine gesundheitsschädigende Umsetzung ebenso sicher nicht. Aber vergangen ist vergangen und jetzt ist jetzt. Jetzt kann ich neu wählen, was ich denken will, um frei von innerlichen Zwängen zu sein. Das ist nicht immer leicht, das verspreche ich dir auch nicht. Aber das Leben ist so viel reicher und bunter, wenn ich mich für ein Umdenken offen zeige. Und das gilt in jeder Beziehung.
Jetzt bist du wieder dran. Schnapp dir einen Gedanken, mit dem du dich nicht wohl fühlst, und frage dich: Was war der Grund dafür, dass du ihn dachtest, und wie kannst du diesen jetzt anders umsetzen?
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Und dann schnapp dir den nächsten und so weiter und so fort…
PS in eigener Sache:
Wenn ich schreibe, dass meinen Veränderungswunsch zu leben sogar in Suchtzeiten die bestmögliche Umsetzung war, klingt das für dich sicher befremdlich. Sucht ist suchen. Daher: kleiner Ausflug in die Suchtpsychologie. Sucht gibt Halt. Natürlich ist es ein Scheinhalt, aber das ist wie bei allen ungesunden Verhaltensweisen (halt nur extrem extremer). Sie haben eine gewisse Struktur und geben einem, wenn man sich an sie gewöhnt hat, sowas wie ein Zuhause. Das „Ungesunde“ ist einem so vertraut, dass man den Absprung nur dann schafft, wenn man dazu die „vollherzige“ Entscheidung trifft. Weder Sucht noch andere ungesunde Verhaltensweisen können von außen geheilt werden. Es bedarf dazu eines anderen inneren Selbstgesprächs. (Wobei von außen natürlich Impulse kommen können, aber da stellt sich die Frage, was man – als Süchtiger – aufnehmen kann.) Aber egal in welcher destruktiven Phase man steckt: wüsste man es anders und entschlösse man sich dazu, anders denken zu wollen, und könnte man es, dann täte man es auch. (Ein Hoch auf den Konjunktiv!)
Fazit: Solange man nicht besser für sich handeln kann, so lange ist das, was man tut, die in bester Absicht ausgeführte Handlung für sich. Es ist der bestmögliche Versuch, etwas Gutes für sich zu leben (und sollte deswegen nicht als Ausrede dienen). Solange, bis man das durch eine andere Handlung ablösen kann. Was Umdenken voraussetzt. Nur andere Gedanken führen zu anderem Handeln. Und für andere Gedanken muss ich mich entscheiden. Da hilft alles nichts.
So, jetzt hast du wieder genügend Gedankenfutter. Und wahrscheinlich brauchst du diesmal auch Gedankenverdauzeit. Wir lesen uns in Woche 4 wieder. Und, ganz wichtig: Bei Fragen, frag mich. Ich freu mich auf unseren Austausch!
Bis dahin.
Alles ist gut.
Herzlich
Celia