Bernd, du bist Alkoholiker. Bist seit 13 Jahren trocken. Wir, in meiner Gruppe für ehemalige Essgestörte dolce vita , sagen gerne: wir sind trockene Esser. Und der Umgang mit Essen oder (Nicht-)umgang mit Alkohol nach der Sucht ist in kritischen Situationen, die einen gerne in gewohntes Suchtdenken fallen lassen, ähnlich schwierig. Wie ist das aus deiner Sicht? Wie gehst du jetzt, nach deiner Suchtzeit, mit kritischen Situationen, die– du benennst das in deinem Buch so schön als Saufdruck – verursachen könnten, um?
Am besten komme ich gar nicht erst in kritische Situationen (…grins….). Nein, Spass beiseite. Mir hilft es, wenn Saufdruck aufkommt, die gegenwärtige Situation SOFORT zu verlassen. Den letzten Saufdruck hatte ich vor ca. 5 Jahren.
Alkohol ist ein akzeptiertes Genussmittel, kann aber auch schnell zur Droge werden. Wie Essen. Eben dann, wenn man es verwechselt mit z.B. der Suche nach Liebe, Anerkennung....... Mit was hast du Alkohol verwechselt?
Ich habe Alkohol als Lösungsmittel missbraucht und versucht, mein damals angeschlagenes Selbstwertgefühl zu aufzuwerten. Ich war fremdbestimmt, wollte und sollte immer so sein, wie andere mich gerne hätten. Ich habe mich selbst vergessen. Es fehlte mir was, ich habe nach etwas gesucht, was mir fehlte, was mich glücklich machte. Alkohol wurde zum Such(t)mittel.
Wenn du in Schulen bist und Präventionsarbeit leistest, so willst du, so hieß es kürzlich in einem Podcast des WDR 5, die Schüler nicht komplett von Alkohol fernhalten, aber auf die Gefahren aufmerksam machen. Was erreicht die Schüler am meisten?
Den Schülern ist es sehr wichtig, dass ihnen eine Person gegenübersteht, der seine ganze Suchtgeschichte am eigenen Leib erfahren hat und der vor allen Dingen authentisch ist. Ich verteufele den Alkohol nicht. Ich stehe da nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern ich mache die Schüler darauf aufmerksam, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann und der Weg in die Sucht auch ein leichter sein kann.
Keiner konsumiert Drogen ohne Grund. Der Gewinn ist oft, entspannter, kommunikativer zu sein oder ich vermeide was, unangenehme Gefühle z.B., stopfe mir mit Essen den Mund oder nehme eben gerade Alkohol als Hilfsmittel, meinen Mund nicht aufmachen zu müssen, für mich einstehen zu müssen. Die Sucht ist - gefährlicher Satz jetzt – oft der bestmögliche Versuch mit seinen Problemen umzugehen. Wie du jetzt bestmöglich mit deinen Problemen umgehst, hast du schon beschrieben, aber gibt es für dich eine "goldene" Erkenntnis aus deiner Suchtzeit, die dich denken lässt, diese Lebensumwegschlaufe hat Sinn gemacht?
Alles in meinem Leben hat Sinn. Nach jeder Krise wurde mein Leben anders. Nach der Alkoholsucht und auch nach meiner Diagnose Knochenmarkkrebs vom März 2014. Ich habe mich mehr reflektiert und mein Leben hinterfragt. Beim Alkohol war es so, dass nichts schlechter dadurch wurde, dass ich mit dem Saufen aufgehört habe. Zur Zeit mache ich eine Ausbildung als zertifizierter Personaltrainer/Coach. Da lerne ich noch mehr über mich und wie ich Menschen mit der gleichen Erkrankung begleiten kann.
Du hast in deiner aktiven Alkoholzeit bis auf 166 Kilogrammzugenommen, ein Albtraum für meine Leser. Wie hast du es geschafft wieder auf Normalmaß zurück zu finden?
Als ich im April 2005 trocken wurde und kein Alkohol mehr trinken musste, habe ich im ersten Jahr fast 30 kg abgenommen ohne dass ich großartig meine Ernährung umgestellt habe. Seit 11 Jahren mache ich Nordic Walking. Vier Jahre bin ich in die Muckibude gegangen. Dieses darf ich wegen meiner Krebserkrankung leider nicht mehr ausüben. Ich bin ein Mensch, der sich seit seiner Kindheit IMMER mit Gewichtsproblemen herumschlagen musste. Ich war immer übergewichtig. Dann habe ich abgenommen, dann wieder zugenommen. Als ich wegen meiner Krebserkankung Chemotherapie und eine Stammzellentransplantation und Kortison bekam, habe ich über 15 kg zugenommen.
Was ich wunderbar finde, dass deine Familie, deine Frau bei dir blieb. Das lässt einen an die große Liebe glauben. Die du sicher nicht nur mit dem Gemisch aus rohen Zwiebeln mit Eukalyptus, um deinen Alkoholatem zu verbergen, auf die Probe gestellt hast. Was kannst du Angehörigen aus deiner Sicht sagen, wie sie sich am besten verhalten könnten? Für sich und für dich?
Angehörige können für den Betroffenen nichts tun. Sie stehen daneben und sehen zu, wie er sich ins Unglück stürzt. Sie können aber für sich selbst viel tun, in dem sie z.B. eine Beratungsstelle oder eine Selbsthilfegruppe für Angehörige aufsuchen.
Ich weiß es ja aus deinem Buch und von dir, aber meine Leser wollen sicher von dir erfahren, was war der Auslöser für deine Entscheidung zu entgiften und trocken zu werden und, noch interessanter, was war der Auslöser dafür trocken zu bleiben?
Mit meinem Verstand kann ich diese Entscheidung trocken zu werden wollen nicht erklären. Ich bin am Dienstag vor Ostern 2005 zu meinem Hausarzt gegangen und habe um Hilfe gebettelt, da ich am Ende war. Psychisch und Physisch, Ich bin mir sicher, dass Gott die Finger im Spiel hatte und er mich noch mal richtig in den Hintern getreten hat. Ich wollte mein Leben komplett ändern und habe nach der Entgiftung eine einjährigen ambulante Therapie gemacht, war 6 Jahre bei den Anonymen Alkoholikern und habe 2007 mit meiner Präventionsarbeit begonnen. Ich will NIE wieder in das alte Leben zurück.
Alkohol ist die einzige Droge für dessen Ablehnung man sich rechtfertigen muss. Wenn ich in Gesellschaft mal nicht trinke, werde ich zwar nicht so sehr mit dummen Sprüchen, aber Fragen und dummen Blicken konfrontiert. Jetzt kann man/frau natürlich stark und souverän damit umgehen……..wenn man kann;-) was hat deine Souveränität be-und gestärkt? Musst du dazu jedesmal deine Vergangenheit outen um einen handfesten Grund aufweisen können, oder wirkst du einfach? Wie gehst du, oder wie würdest du mit respektlosen Reaktionen umgehen?
Nachdem ich zu Anfang meiner Trockenheit verschiedene Ausreden parat hatte warum ich keinen Alkohol trinke, bin ich sehr schnell dazu übergegangen offen zu sagen wie es ist. Ich bin Alkoholiker. Das hat jeder kapiert und nicht weiter gefragt. Das erste NEIN ist das einfachste NEIN.
Eine liebe (Ex-magersüchtige) Freundin von mir, sagte mal den schönen Satz: ich musste wohl erst leer werden um zu wissen, mit was ich mich füllen will. Was erfüllt dich nun statt Alkohol?
Es gibt verschiedene Dinge, die mein Leben erfüllen. Zum einen ist es das regelmäßige Nordic Walking. Ich laufe 3-4 mal pro Woche ca. 8 km (meistens morgens um 5 Uhr bevor ich ins Büro fahre).Zum anderen ist es die Alkoholprävention, die ich mittlerweile durch ein großes Netzwerk nebenberuflich ausübe. Dann habe ich im September 2017 die Coachingausbildung begonnen. Wichtig ist, dass das Gehirn in Bewegung bleibt.
Gibt es ein Zitat, oder einen Schlüsselsatz, der dir aus deiner Sicht für das Thema im deinem Leben hilfreich ist?
Es ist keine Schande krank zu sein, aber eine Schande nichts dagegen zu tun.
Lieber Bernd. Tausend Dank für das Interview! Ich freue mich auf weitere!!!
Zu mir Bernd Goebel......
Ich heisse Bernd Goebel, Jahrgang 1965, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, wohnhaft in Attendorn/Sauerland, Kaufmännischer Angestellter, seit 2005 trockener Alkoholiker. Erster Kontakt mit Alkohol mit 6 oder 7 Jahren. Lebe seit 2014 mit der Diagnose Knochenmarkkrebs
Seit 2007 Jahren tätig in der Alkoholprävention mit über 100 Vorträgen an Schulen, Firmen und Institutionen.
Autor des Buches heimlich-unheimlich-habe-ich -getrunken, erschienen im Blaukreuz-Verlag Lüdenscheid.
Ich hatte alles. Job, Geld, Wohnung, Auto. Eigentlich ein unbeschwertes Leben. Ich war ein „Normalo“. Nicht auffällig, nichts. Trotzdem fehlte etwas in meinem Leben. Ich nutzte den Alkohol, um es zu finden. Ich habe gesoffen. 13-15 Jahre meines Lebens. Bis nichts mehr ging. Psychisch, physisch, finanziell, familiär und beruflich. Dann riss ich aus eigenen Stücken das Ruder herum, wurde trocken.
Mit Celia zusammen bin ich Mitglied in der F-Foundation. Wir feuen uns, wenn ihr euch auf der hompage über unsere Arbeit informiert https://www.f-foundation.org/